Recherchegruppe Bayern

Der Bayerische Journalisten-Verband steckt in der größten Krise seiner Geschichte. Es fehlen die Erfolge bei Tarifverhandlungen und die Serviceleistungen für die Mitglieder sind dürftig. Obwohl es reichlich Verbesserungsvorschläge gibt, geht es mehr um Pöstchen und Machtstrukturen, als um einen lebendigen Verband.

08 April 2005

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Interne Zensur im Berufsverband der Journalisten: "Wo bin ich denn hier 'reingeraten?!"

Aus dem BLOG von Werner Nieke PL15552

Ein Rückblick auf die Wahl des neuen Bezirksvorstands München/Oberbayern am 07.04.2005

... ruft ein junger Kollege des Bayerischen Journalisten-Verbands gestern abend inmitten der Wahl des neuen Bezirksvorstands ins Mikrofon. Aus den hinteren Reihen ertönt nur höhnisches Gelächter, die vordere Hälfte des Plenums scheint in stummer Lethargie erstarrt. Die Atmosphäre erinnert eher an einen Dorf-Stammtisch zu fortgeschrittener Stunde. Der mündlich vorgetragene Bericht des scheidenden Bezirksvorstands und sein allerletzter Versuch, das Plenum zu einer offenen Diskussion zu bewegen, wird von zahlreichen mehr oder minder qualifizierten Zwischenrufen immer wieder unterbrochen

Also nun: Wo sind wir denn hier 'reingeraten? Wir befinden uns in der Schilderung einer Sitzung des Bezirksverbands München-Oberbayern des BJV (Bayerischer Journalisten-Verband) am gestrigen Abend, der als Landesverband dem Deutschen Journalistenverband angehört und sich als Berufsverband und Gewerkschaft für angestellte und freie Journalisten positioniert. Und flugs sind wir schon mitten im Thema: Berufsverband UND Gewerkschaft? Geht denn das? Können freie Journalisten, die im weiteren Sinne auch Unternehmer sind, überhaupt eine Gewerkschaft bilden? Und wenn Berufsverband, wie - und aus welchen Mitteln bzw. welcher Verteilung dieser - werden die Interesseren der Freien vertreten?

Das sind zwei der Fragen, die im Verband schon seit ca. zwei Jahren kontrovers diskutiert werden. Oder besser gesagt: NICHT diskutiert werden, weil zahlreiche Anträge aus den Reihen des Bezirksvorstands und der Fachgruppenvorsitzenden mehrheitlich abgelehnt wurden. In diesen Anträgen finden sich beispielsweise die Differenzierung der Mitgliedschaft je nach Berufsgruppenzugerhörigkeit und der damit in Anspruch genommenen Leistungen (z.B. die Absicherung durch Streikfonds bei Tarifverhandlungen), ein Delegiertenprinzip für die Durchführung von Mitgliedsversammlungen (bei 9.000 Mitgliedern in Bayern eine organisatorische Notwendigkeit), die klare und nachvollziehbare Trennung der verbandsinternen Arbeit in gewerkschaftliche und berufsständische Aufgaben sowie die komplette Neufassung der Verbandssatzung, um den geänderten Rahmenbedingungen des Medienmarktes und seiner Auswirkungen auf die Mitglieder Rechnung zu tragen. Sie folgen desweiteren den Erfahrungen, die der Bezirksvorstand Walther Bruckschen in insgesamt vier Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit sammeln konnte.

Diese Anträge, die im Kern darauf ausgerichtet waren, die mittlerweile zahlenmäßig mächtigere Gruppe freier Journalisten unter den Mitgliedern (58%) im Rahmen der Verbandsaktivitäten besser zu unterstützen, wurden allesamt abgelehnt. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Präsenzquote der eigentlich betroffenen und zu vertretenden Mitglieder kaum 0,3% betrug und die gerade mal 13 Anwesenden von 5.000 registrierten Mitgliedern im Bezirk München/Oberbayern eher aus den Reihen der verbandskonformen festangestellten Redakteure gestellt wurden.Offenbar müssen aber die zahlreichen Anläufe seitens des ehemaligen Vorstands auf Wiederaufnahme des Gesprächsfadens, die wiederholte Neuvorlagen seiner Anträge und das Festhalten an legitimen Fragestellungen eher als lästige Störung des Tagesbetriebs gewertet worden sein. Mangelnde "Solidarität" war wohl das am häufigsten zu hörende Schlagwort gestern abend und als "unkollegial" wurden die Aktivitäten des zurückgetretenen Bezirksvorsitzenden Walther Bruckschen und seiner Stellvertreterin Silke Schmidbauer eingestuft.

Die Antwort auf Bruckschens Frage zu Beginn seiner Amtszeit, was denn ein Bezirksvorstand überhaupt mache, war ihm die Verbandsspitze zwei Jahre lang schuldig geblieben. Was ein Bezirksvorstand NICHT macht, dürfte ihm in den zwei Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit mit allem Nachdruck klargemacht worden sein: Er hat sich besser nicht zu seinen Überzeugungen zu äußern, geschweige denn diese zu vertreten.

Eine naheliegende Schlußfolgerung ist die Einschätzung, dass die träge Masse selbst schuld an ihrem Schicksal ist. Dagegen wäre auch nichts einzuwenden. Aber wussten denn wirklich alle aktuell angesprochenen Mitglieder und Betroffenen, WAS es zu besprechen gab und dass ihre eigenen Interessen auf dem Prüfstand waren? In der Einladung des geschäftsführenden BJV-Vorstands ist zu lesen:"Wer an der vorjährigen Mitgliederversammlung in der großen Aula der Universität in München teilnahm, wird unseren Appell [zu zahlreichem Erscheinen, Anm.] verstehen. Damals blockierten elf satzungsändernde und acht ordentliche Anträge die Versammlung, die letztlich nur von drei Mitgliedern gestellt waren.

Diese Anträge, die eine Spaltung des Verbandes nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene zum Ziel hatten, wurden von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt bzw. mit Nichtbefassung oder Übergang zur Tagesordnung beschieden. So sollte es im BJV eine Dreiklassenmitgliedschaft geben, die Zahlungen an den DJV sollten verringert und der Bezug des "Journalist" eingestellt werden. Derartige Anträge stellen das Solidaritätsprinzip im DJV in Frage und sind eine Absage an unsere gewerkschaftliche Arbeit.

"Also nochmal zum Nachgoutieren und Mitschreiben: Satzungsändernde Anträge sind offenbar nicht ordentlich, mindestens aber ärgerlich und eine Blockade, wenn sie nur von drei Mitgliedern kommen - in dem Fall den ehrenamtlichen Vorständen. Dann liest man, dass eine Spaltung des Verbandes nicht nur auf Bundesebene - das wäre ja offenbar noch zu verschmerzen gewesen -, nein, sondern AUCH auf Landesebene beabsichtigt war.

Um welches Ordnungsprinzip handelt es sich hier, wo die Teilmenge wichtiger als die Gesamtmenge ist? Und als krönender Abschluß: "... wurden von einer überwältigenden Mehrheit" abgelehnt und mit "Nichtbefassung [...]" beschieden..., denn die Anträge seien eine Absage an die gewerkschaftliche Arbeit. Das mag ja durchaus sein, also werden sie mit "Nichtbefassung" beschieden anstatt mit offener Diskussion.

Bis hierhin darf die Angelegenheit durchaus als Verbandsgeklüngel betrachtet werden, wie es auch im Kleintierzüchterverein zu Grünenbaindt wohl das eine oder andere mal vorkommen mag. Ein ganz anderes Kaliber aber ist das Thema Zensur

Der in der Verbandseinladung Angesprochene formulierte ob der geäußerten Vorwürfe gegen ihn eine Stellungnahme und bat die Geschäftsstelle, diese - genauso wie die Einladung - an alle Verbandsmitglieder zu versenden, weil ihm zum einen der Zugriff auf den verbandsinternen E-Mail-Verteiler nicht möglich ist - warum eigentlich nicht? - und die Einzeladressen aller Mitglieder unbekannt sind.

Diese, auf die relevanten Passagen verkürzte Gegendarstellung, die COPY.BLOG in voller Länge vorliegt, bezieht zu den Vorwürfen folgendermaßen Stellung: "Als Bezirksvorsitzender begrüße ich die Initiative des BJV-Vorstands ganz ausdrücklich. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät setzt sich der Landesvorstand für eine stärkere Partizipation der Basis ein. Er folgt damit meinen Forderungen. [...] Zusammen mit dem Vorstand unseres BJV streite ich für mehr Mitgliederbeteiligung. Ich rufe Sie alle herzlich zur Teilnahme auf. Ich bin zuversichtlich, dass in unserem Bezirksverband [...] diesmal mehr als die 13 (= 0,3 %) bei der vorigen Versammlung Anwesenden (als es um die Formulierung von Anträgen für die BJV-Mitgliederversammlung ging) zur Wahl schreiten werden.

[...] Es wird sicherlich Kandidaten geben, die für Zusammenwirken, Vertrauen und Intelligenz bei der schwierigen Aufgabe stehen, die Interessenvertretung von festen und freien Journalisten in einer Zeit neu zu organisieren, in der sich alles schnell ändert - insbesondere die Grundlagen unseres Berufes. Schauen wir nach vorn! Wir wollen Solidarität. Aber wir wollen auch gerechte Lastenverteilung und Meinungsfreiheit für jedes BJV-Mitglied. Dafür lohnt es sich, zur Bezirksversammlung zu kommen!"

Sie wurde mit folgendem Kommentar beantwortet:

"Sehr geehrter Herr Bruckschen,im Namen des geschäftsführenden Vorstandes teilen wir Ihnen mit, dass Ihre Mail vom 05. April nicht versendet wird. Begründung: Sie ist unsachlich, unkollegial und polemisch.

[...]Mit besten Grüßen Der geschäftsführende Vorstand"

Im Zuge journalistischer Sorgfaltspflicht hat COPY.BLOG die Autorin obiger Zeilen, die Geschäftsführerin Frau Ancker, im Anschluß an den Rücktritt des Bezirksvorstandes und die Neuwahlen um persönliche Erläuterung dieses Kommentars gebeten, insbesondere im Hinblick auf die Begriffe "unkollegial, unsachlich, polemisch".

Folgende Beispiele wurden genannt: Der Satz "Zusammen mit dem Vorstand unseres BJV streite ich für mehr Mitgliederbeteiligung" unterstelle, dass der geschäftsführende Vorstand dies versäumt habe. Der " Streit um Ideologie, Stillstand, Vergangenheits-Verklärung und Ideenmangel" beinhalte inakzeptable und unverschämte Unterstellungen. Und die Aussage "Nutzen Sie die Veranstaltung des Bezirks als mündige Mitglieder ..." sei ebenfalls eine Unverschämtheit, weil sie impliziere, dass der geschäftsführende Vorstand die Auffassung vertrete, Mitglieder seien zunächst nicht mündig.

Zugegeben: Von dieser Auffassung ist der geschäftsführende Vorstand meilenweit entfernt, denn er trägt ja dafür Sorge, dass nur solche Nachrichten die Mitglieder erreichen, die Ihrer Mündigkeit - im Sinne der Landesverbandsspitze - nicht abträglich sind...

Diese Vorgänge sind skandalös, empörend, anwidernd und beängstigend. Sie sind umso schwerwiegender als die Weiterleitung dieser besagten Nachricht gerade mal weniger Mausklicks bedurft hätte. Eine Zensur darf es nicht geben! Von einem Berufsverband, dessen Mitglieder sich in Ausübung ihres Berufs für freiheitliche Prinzipien einsetzen, gern als vierte Macht im Staat bezeichnet werden und ihren Einsatz für diese Prinzipien beispielsweise in Krisengebieten nicht selten mit dem Leben bezahlen, kann - nein: MUSS! - man erwarten dürfen, das verbandsintern die gleichen Grundsätze zur Anwendung kommen.In Zeiten der instrumentalisierten Angst vor globalem Terror müssen wir beobachten, dass eine beträchtliche Zahl von Grund- und Freiheitsrechten durch unsere angeblichen Volksvertreter sukzessive beschnitten werden. Das ist schlimm genug. Die freie Äußerung und das nachhaltige Vertreten der eigenen Meinung - auch wenn sie unbequem oder mißliebig ist - gerade im Berufsverband derjenigen zu beschneiden, die sich nicht selten zum Advokaten der Wahrheit zu machen haben, ist unfassbar und inakzeptabel!

Die Frage bleibt im Raum: Wo ist er da hingeraten, der junge Kollege?